Sonntag, 10. Juni 2012

Opera (1987)


OPER OHNE SEIFE
DIE SCHMUTZIGEN FREUDEN DES ALTEN ITALIEN


Der Autor versichert, dass er in keiner Weise Leute verärgern möchte, oder zu einem Ständer ermutigen.

SHHHH Silenzio! In der Oper muss Ruhe herrschen. Niemand möchte gestört werden, wenn er mal schläft. Argento sieht das ein bisschen anders. Jeder Schrei ist ihm willkommen. Mit OPERA hat der Meister sein größtes Fest verbrochen, voll dramatischer Sexgeheimnisse und morbider Sinnlichkeit. Pandämonium pur!

Achtung! Spoilernde Sorgfalt

ANALYSE:
Backstage werden große Vorbereitungen getroffen. Der rote Vorhang geht auf und Raben flattern auf die Schuttbühne, die Teilen Frankfurts sehr ähnlich sieht. Ein großes Michael Jackson Hologramm aus der Thriller-Ära erscheint auf der Leinwand, während die Sängerin energisch trällert. Die Handlung der Oper wird undurchsichtig und große Freude kommt auf, als dem ersten Bühnenbeschäftigten mit Schwung das Genick gebrochen wird.

DOCH ZU FRÜH GEFREUT:
Führt euch vor Augen, dass ihrs mit einem Perversen zu tun habt. Jemand, der das schlüpfrige Parlando aufgibt und stattdessen mit Fistelstimme und Fetischmaske flirtet. Ein Liebebedürftiger der besonderen Art, mit dem geballten Mitgefühl der Eiger-Nordwand. Er sieht sich selbst als der größte Fummelkönig, aber der Sprung vom Killer zum Ladykiller will ihm nicht gelingen.
Die Sängerin im Flitterfummel war Betty. Diese Stimme. Uh, da könnte ich heulen. Ein ganz feiner, vornehmer, italienischer Akzent. Opernsingen ist das Einzige für sie. Es gibt ihr das Gefühl die Welt zu verbessern. Kein Zweifel, sie hat noch nicht eine schiefe Kerbe im Bettpfosten. Und schon plauzen die ersten Missverständnisse aneinander, zwischen der glockenklaren Unschuld und dem hoffnungslosen Verehrer, denn seine stürmischen Methoden könnten nicht gegensätzlicher sein.
Von der Oper angeödet fängt er an wie aufgepeitscht durch die Gänge zu fegen und zu kriechen, Dinge, die in einem Opernhaus eigentlich erwünscht sind, würde er nicht mit abgewichsten Mordgedanken vom Balkon runterstöhnen. Was auch zunächst geduldet wird, aber die wahren Liebhaber des gesungenen Theaters nicht gerne sehen.

Der Verehrer lässt dem Opernstar Urin in einem edlen Fläschchen zukommen, um ihr Herz zu gewinnen, was bei Betty die Idee bestärkt es mit einem Vollidioten zu tun zu haben. Sichtlich unbeeindruckt schüttet sie mit Stefano die ordinäre Tunke in den Abfluss. 

Klarer Fall, sie ignoriert ihn. Doch woran liegts? Er ist charmant, gutaussehend, hat 1A-Leberwerte und eine tolle Altersvorsorge. Es sind lediglich seine sexuellen Vorlieben, über die sich streiten lässt. Aber so ist es eben mit einigen Sexpraktiken: man selbst bekommt beim bloßen Gedanken daran das Kotzen, für andere ist es wiederum "romantisch". Dennoch lässt er keine Gelegenheit aus, seinen Fetisch prominent zu machen.

Wir leben im 21. Jahrhundert. Schizophren kann jetzt jeder sein. Aber damals musste man für ein Doppelleben noch was riskieren! Aus diesem Grund lässt der anonyme Sünder seiner Obsession höchste Sorgfalt angedeihen und beweist, wie wichtig ihm die Beziehung zu Betty ist. In aller Liebe, Treue und Ehrlichkeit. Er bricht bei den Kostümbildnern ein, zerfetzt Bettys urfesches Operngeschmeide und luchst sich ihren Slip ab, um ihn als Einlage in seine Maske zu nähen. Das sollte das Eis brechen.
Eroberungslustig:
Der Jagdinstinkt des Aufreißers ist geweckt.
Neckisch wirft er Betty scharfe Blicke zu.
Sinnsuche, Erblast und eigene Grenzen. Die Gefühle stehen Kopf. Im Kampf gegen den Bauplan des Lebens ist Betty bemüht ein richtiger Mensch zu werden. Viele lachen jetzt, weil die Affen das schon vor tausenden Jahren geschafft haben. Aber manche kennen das Problem.

In der Nacht setzt dann Betty ihre Unzulänglichkeit zu. Beim ersten Fickdate mit dem sympathisierenden Stefano kommt es zu einer Riesenblamage. Sexunfall! Einer der peinlichsten. Mitten im Akt wird ihr Freund vom Killer erstochen, der sich einer ausgebufften Folterwaffe befleißigt. Ein Nadelpflaster, das sich die Augen offen wünscht.

Hier bekommt der schaulustige Zuschauer vom Regisseur den Spiegel vorgehalten und wird selbst als Sadist entlarvt. Wie der Killer lässt Argento den Zuschauer sehen, was Betty sehen muss. Ein kleiner, hinterlistiger Kniff, der das Zusehen unerträglich macht, weil es einfach schmerzt mitzuerleben, wie der einsame Lover seine unzähligen Gewinnchancen bei ihr immer wieder verkackt.

WAS FOLGT IST KINOGESCHICHTE:
In einem der schönsten und ergreifendsten Momente aller Filme überhaupt
wird Giulia ein Bügeleisen ins Kreuz geworfen

Es ist schon wieder Vollmond und im ganzen Viertel nichts los. Nur nebenan. Da steigt die Alternativparty "Yıldırım". Kein Wunder, dass der Lauser notgeil durch die Oper flaniert.
Brüste: Zwei handliche Tropfen. Er will ihr sofort die Beichte abnehmen, wenn sie unter ihrer weißen Decke Ebbe und Sturmflut macht. Gefährlich nah streicht er sich am geheimen Spiel entlang, während die empfindlichen Spitzen freigelegt werden. Über sinnliche Bildmassagen wird sich das Bewusstsein des Grabschers erschlossen, ohne seine mösenfeindliche Identität zu lüften. Man macht sich strenge, abendländischen Gedanken. Unter Umständen ist er ja eine Frau.
 
Die Welt ist voller Möglichkeiten. Aber wer sind diese tollwütigen Fucker, die den ganzen Tag im Fango rumgammeln und ans Fesseln denken? Klar, man kennt das ja aus furzigen Kellerpartys. Es ist laut, es ist nass, man wird angefasst, oder geschwängert; aber in der Oper gab's das nie. Dabei ist diese eigene Atmosphäre, in der maskieren und inszenieren zum Programm gehören ideal für extreme, psychosexuelle Rollenspielchen und festgefahrene Erniedrigungsphantasien.
Metamongo: Synchron vergewaltigt der Autor gerade unter Missbrauch der Leser
seinen verehrten Film für ein narzisstisches Liebesgeständnis

DARIO ARGENTO: EIN MANN MIT KLANG
Der Ideengang für das Setting war Dario Argentos eigener Versuch eine Oper zu inszenieren, welche allerdings als zu bohemisch und riskant abgewürgt wurde, da Argento gleich mehrere Radios auf einmal dirigieren wollte. Noch uninteressanter ist folgende Meldung:
Argentos rauschende Zirbeldrüsentranszendez wird gern als lächerlich und schwachsinnig betrachtet. Vor allem von Männern, die Säulendiagramme erstellen und im Kino am liebsten die Tagesschau scheppern lassen. Wir von der Pathologie sind mit dem Krankheitsbild der Langweiler vertraut und können beruhigen. Es ist eine harmlose Erkrankung, die schnell auskuriert ist, sobald man auf dem Volksfest Glatzen streichelt, sich Sand in die Unterhose kippt, oder blindtriebs mit Steinen um sich schmeißt. Viele dieser weniger aufwändigen Behandlungsmethoden werden jedoch nicht praktiziert, da sie eine Reihe verheerender Nebenwirkungen mit sich ziehen.
Der Grund, warum der italienische Skelettmann mit der missratenen Frisur Unfassbares auskocht und niemals al dente, ist aber wahrscheinlich ein anderer! Zum Beispiel der Kitzel der Traumsprache; das Bedürfnis auszudrücken, was die Seele berührt; das inhalierte Grabesdunkel, oder der gespenstische Glaube, dass da draußen mehr zu entdecken ist, als Fremdenhass und Meerrettich und sich vielleicht nichts davon erklären lässt. Du selbst könntest jetzt etwas Besseres machen als hier abzuhängen. Logikfehler! Trotzdem bist du hier. Das ist es, was Argentos Künstlerstolz uns lehrt.
Was heute mit Argento ist? Leider nicht mehr so viel Wildes. Die Zeiten, in denen man seinen Namen an jede Straßenwand sprayte und sich selbst stolz zur Anzeige brachte, sind vorbei.
Fabrikfrischer Schrott
Viele bemängeln Darios unterfinanzierte Billo-Phase, in der er einem sehr intimen Klientel Avancen macht. Ein paar frustrierte Leidensgenossen selben Alters können ihm folgen, aber seine Regenbogenphantasien aus der Krypta lassen zunehmend nach. Ihn so zu sehen hat natürlich seinen Reiz. Die meiste Zeit schmerzt es aber einfach in der Seele.

OPERA: KLEINE TIEFS, VIELE HOCHS. ABER IMMERHIN TIEFS!
Ohne zu zögern schießt Argento seine Schrotladungen los. Der Mann meint es ernst. Es macht unfassbar glücklich zuzusehen, wie er sich in ausgefuchsten Inszenierungsfuror tobt und die Messlatte bis zum Ende schwanzhart aufrecht hält. Auch die Special Effects wirken heute immer noch taufrisch.


Diese Statue ist eine ungezähmte Widmung an den brutal-vitalen Argento, als er noch umwerfend und aufregend war. 

 Skulptur "Il Grande Argento" von Marino Maroni

Ohne Flachs, es gibt so viele Highlights, die sich in das gemarterte Hirn narben wie ein Löwenprankenhieb. Ganz grundsätzlich kann man den Film eigentlich jedem empfehlen, der sich gern mal ordentlich abwatschen lässt. Und doch ist der Terror auf maximale Liebe ausgelegt, da lässt die bestechend zugängliche Heulmuse Betty keine Zweifel bestehen. Auch viele Bildgestalter können sich bei der treibenden Kamera ins Knie ficken gehen, aber erst die irrationalen Regiefaxen rütteln einem tänzerisch die Hirse aus den Schuhen. Davon will man mehr. Neben den satten Sounds von Brian Eno und Claudio Simonetti ist der einzige Malus wahrscheinlich das recht holprige Metal-Gepolter, welches an mancher Stelle auf die übliche Zitterfrequenz runter bringt. Und die beachtliche Darstellerperformance verwechselt man flüchtig mit mieser Schauspielleistung, was zwar nicht ganz falsch ist, aber zum größten Teil an der schallernden Synchronisation liegen mag. Allerdings vergisst man das gern. Argento beseelt das Groteske und lässt die Wunder in seinem gewaltsamen Opernmärchen frei, was teilweise so intensiv daherkommt, dass es einfach nur heißer Scheiß sein kann. Er lässt sogar Raben wie ehrbare Soulsänger erscheinen. Das knallt, ist sexy und voll unschuldiger, purer Energie. Wenn das nicht genug ist, um sich zu wünschen man wär mit TERROR AT THE OPERA verheiratet, dann geb ich auf.

Der Psychopath fordert die Natur heraus - eine aufregende Begegnung, besonders, wenn die Käfige offen stehen. Hier im Swingerclub sollen lebenslustige Mörder zusammenfinden. Als besonderer Anreiz dient das rachsüchtige Raven.
 
DIAGNOSE:
Nach dem Ausflug ins Mittelgebirge stellt der Film plötzlich die eigene Wirklichkeit als künstlich aus. Wobei Argento seinen Bezug dazu immer wieder klärt. Zum Beispiel soll eine Arie abgebrochen werden, um dem Killer die Larve vom Gesicht zu reißen. Ein guter Tausch. Ist ja nur Kunst.

OPERA ist nicht weniger als die krönende Mimese unserer Faszination am Bizarren, die sich Argentos gesamtes Lebenswerk voll naiver Wahrheitsliebe erspielt. Eine Freude, die zwar mit INFERNO und SUSPIRIA schon zauberischer war, aber überzeugender nicht mehr wird. Und das ist kein Scherz. Ich mach später noch einen Scherz, dann erkennt ihr den Unterschied.

In der Schweiz gehen Betty endgültig die Gefühle durch und ihr wird gewahr wie bittersüß das Leben ist, wenn sie mit autistischem Tatendrang die Botanik begehrt. Noch kein Berg hat der Liebe den Rücken zugekehrt, denn er kennt weder Mann noch Frau. Insofern ist es kein Zufall, dass die Glücksgefühle innerlich am überdrehen sind, wie eine Platte, die nicht auf 33 sondern auf 45 laufen darf. Das Verdorbene verrottet, mit dem Resultat, dass in den Alpen die Sonne scheint. Ach, ist das schön! Schön und schockierend. Denn mit der guten Laune kehrt auch die Realitätsflucht ein. Man spielt das Spiel eben nach den grausamen Regeln, oder gar nicht. 

In einer ursprünglichen Drehbuchversion - und das wissen viele nicht – sollte Betty in Alpenekstase ihr Top ausziehen und Reptilien fingern. Letztlich wurde sich für das putzmuntere Ende entschieden und was die Echsen betrifft auf ein wenig Petersilienpetting geeinigt.

Und jetzt kommts! Intimität macht verwundbar, deshalb dürfen die Anderen das nicht hören. Die Oper ist aus, die Kunst verkauft. Zeit für süßen Unfug. Es wird still und man ist gespannt und voller Hingabe gesteht sie alles: Penis ist nicht was sie braucht. Da möchte man sie natürlich nur noch in den Arm nehmen. Betty ist eine echte Trümmerfrau! Der Staubsaugersack wird voll und alles endet auf Liebe.

Herzoperation geglückt. Am Ende will man nur eins: Nochmal das Brustbein öffnen.