Montag, 13. Juli 2020

POSSESSOR (2020)

MY SON MY SON,
WHAT HAVE YOU DONE?

ANALYSE:
Ich bin so ein Idiot. Als ich vor einigen Wochen über den Titel der Kotaku Review von Brandon Cronenbergs POSSESSOR stolperte machte ich den gleichen dummen Fehler wie immer:
Ich fing an mich im Internet über den mir bis dato unbekannten Film schlau zu machen.
Zeilen wie "Possessor is one of the most artful, colossally effed up horror movies in forever" oder gar "One Of The Most Gruesome Movies In Years" sind nicht nur reinstes Clickbait für den Genre-Freund sondern machen auch das kleine Gore-Bäuerchen hellhörig, welches zwar mal ein großer Bauer war mittlerweilen aber so winzig geworden ist das ich ihm erlaubt habe die kleine Einzimmer-Wohnung hinter meinem Herzen zu beziehen solange es keinen Lärm veranstaltet.
Ich hatte hier mal geschrieben das die prägendsten Seherfahrungen für mich immer jene waren die ich im seligen Zustand absoluter Ahnungslosigkeit gemacht habe, frei jeglicher Erwartungen und losgelöst von der schweren Last eines sich selbst induzierten Vorwissen. Wie selig waren doch noch die Jugendjahre in denen man von einem Film nur durch ein DEMNÄCHST Postermotiv erfahren hat und das Kopfkino, angetrieben lediglich von Fantasie und Hirnschmalz, den Rest erledigt hat. Und ich rede hier nicht von den Besuchen einer Sneak Preview in denen man sich, nur weil es ausnahmsweise kein Til Schweiger Film ist der dort läuft, lediglich einbildet glücklich zu sein.
Lange Rede wenig Sinn:
POSSESSOR ist ein solider dystopischer Tech-Thriller dessen Cyberpunk-Prämisse dreckiger klingt als sie aussieht.
Cronenberg erzählt seinen Film in derartig unterkühlten klinisch sterilen Bildern, das sein Set-Design auf mich mehr wie eine Kunstinstallation gewirkt hat. Das sieht natürlich alles sehr toll und hochwertig aus, hat mich aber in seiner offen zur Schau gestellten Künstlichkeit ein wenig genervt.
Plottechnisch ergibt das natürlich Sinn, denn auch wenn ich mir das Setting ein wenig dreckiger gewünscht hätte, ist es ja aus medizinischer Sicht weitaus vernünftiger den operativ dargestellten Eingriff in ein fremdes Bewusstsein via Gehirnhack, in möglichst sauberen Interieurs stattfinden zu lassen.
In Wirklichkeit wären William Gibsons Romanhelden wahrscheinlich längst elendig an den Keimen verendet welche man sich beim Körperteil-Tuning in irgendeinem versifften dystopischen Scheißhaus zuziehen kann. Gestorben wird in POSSESSOR natürlich trotzdem.
Zu gewissen Teilen mag ich abgestumpft sein aber aufgrund der Tatsache das sich die Gewaltakte in diesen hell ausgeleuchteten und absolut keimfreien Räumlichkeiten abspielen wirken diese mehr wie eine fehlgeleitete zynische Performance:
Stellt euch vor jemand kauft sich eine Luxuswohnung in bester Lage, fängt an die Wände zu tapezieren und komplett weiß zu streichen um dort danach ein Schwein zu schlachten weil er die sich daraus ergebenden Kontrastfarben so schön findet.
Teilweise ist die ausgestellte Brutalität derartig drüber das sie nur schwer ernstzunehmen ist. Das ist ja an sich nichts schlechtes verkommt hier aber schnell zum Gimmick.
Schnell fühlt man sich nicht nur an BLACK MIRROR erinnert sondern sogar konkret an die Episode CROCODILE die eine fast identische Geschichte erzählt und (Zufall?) auch mit Andrea Riseborough in der Hauptrolle besetzt war.
Natürlich kann sich ein Film heutzutage nicht nur auf den durch Blut und Gedärm generierten Schauwert verlassen wenn er sich auch dem Zuspruch des Arthouse Feuilletons gewiss sein will. Für dieses Klientel greift er dann zum gegenteiligen Extrem.
Was wäre denn die gute alte Ultrabrutale ohne den auflockernden Gegenpol der Ultrasurrealen?
Es tauchten nämlich auch Stimmen auf die von
einer bildgewaltigen Vision sprachen welche an UNDER THE SKIN erinnert und nicht nur wegen Andrea Riseborough das MANDY Feeling heraufbeschwört sondern auch die Nackenhaare eines jeden räudigen Gorehounds der Interpretationsansätze scheut wie der Teufel das Weihwasser. Auch hier kann ich Entwarnung geben:
In einem Film in dem es um Auftragskiller geht die sich ins Unterbewusstsein ihrer Opfer einklinken um diese für ihre Morde fernzusteuern gibt es natürlich Stroboeffekte und visuelle Schnitt-Schnipsel. Hier gibt es dann einige recht toll getrickste weil handgemachte Bilder von ineinanderfließenden menschlichen Gesichtern die mehrdeutig zu lesen relativ schwierig sein wird.
Ich verstehe aber das Dualität manchmal überfordern kann vorallem wenn im Kontext des Films dann die beiden Hauptdarsteller anfangen mit der jeweiligen Stimme des Anderen zu sprechen während sie angestrengt in den Spiegel starren. Wer sich an solchen Stellen  alleingelassen fühlt und anfängt aus den Ohren zu bluten hatte wahrscheinlich auch seinen ersten Schlaganfall beim Kinobesuch von MATRIX weil man damals gegenüber seiner weiblichen Begleitung schlecht zugeben konnte das man sich schon beim Anblick der Lederjacken auf dem Plakat ein bisschen gegruselt hat, dieses Gefühl mittlerweile jedoch längst in Todesangst umgeschlagen ist.

DIAGNOSE:
Auch ohne die bereits angesprochene falsche Erwartungshaltung (für die ich ja Cronenzwerg nicht verantwortlich machen kann) hat sich mir in Bezug auf das Werk und den unvermeidlichen Vergleich mit dem Schaffen seines Vaters folgende Frage gestellt:
Sind Zynismus und das Body Horror Genre untrennbar?
Menschlichen Emotionen waren bei Senior Cronenberg doch auch immer der nötige Faktor und Auslöser für die verschiedenen Eskalationsstufen seiner Körperhorrors.
Emotion ist hier das Stichwort. Ich würde sogar soweit gehen und vielen seiner Werke einen eigenwilligen Humor unterstellen.
In den Filmen seines Sohnes ist hiervon nichts mehr übrig geblieben.
POSSESSOR ist wirklich kompetentes großartig gemachtes Blendwerk (mit dem ich eigentlich kein Problem hätte) welcher aber auf einer derartig drastischen "Pointe" endet die ihren abgrundtiefen Zynismus offen zur Schau stellt. Ich habe kein Problem damit wenn man seinen Film mit einem Tiefschlag in die Magengrube beenden will sofern er sich diesen auch verdient hat.
Brandon Cronenberg hat es aber nicht so mit den Tiefschlägen.
Kurz vor der Schwarzblende tritt er dir lieber kräftig in die Eier und während du zu Boden gehst spuckt er dir noch auf den Kopf.
Seltsamerweise scheint er das lustig zu finden.

0 Hasst uns! Beschimpft uns! Lasst es raus!: