Mittwoch, 13. Juli 2011

The Elephant Man (1980)


THE ELEPHANT MAN
(oder "FOUNDATION OF SOCIAL NETWORKING")

Was ist denn passiert? Diesmal nicht im Film, sondern in meinem Leben. Wie konnte dieses Meisterwerk nur so lange an mir vorbeigegangen sein? Tiefe Depression, als Folge unseres Nicht-Freunde Status. Nun gut, für die lange Zeit, in welcher der Streifen sich mir entzog, werde ich nun entschädigt: die grandios geschossenen Bilder, das ergreifende Schauspielerkino und die ewig gültige Botschaft werde ich nie vergessen. Welch Seele-Lynchendes Kino!

HISTORISCHE ANKERPUNKTE

Der Elefantenmensch ist ein außergewöhnlicher Kerl in den Mittzwanzigern. Aufgrund von extrem wuchernden Tumoren, ist er auch ein lukrativer Besitz für seinen Eigner, Mr Bytes, dem unangenehmen, profitgierigem Inhaber einer Freak Show. Die Stadt London will seinen Einwohnern den grausamen Anblick ersparen und verwehrt dem (Zur-)Schausteller die weitere Vorführung vom hässlichen Entlein. Die Schaulustigen finden das gar nicht gut und äussern ihren Unmut durch laute dislikes. Weil im 19. Jahrhundert das gesellschaftliche Leben in der Gosse stattfindet, passiert auch der junge und motivierte Doktor Treves den Gassen-Tumult. Sein akademisch ausgebildeter Voyeurismus treibt seine Neugier und er fragt nach einem Termin zur Exklusivvorführung.

Dr. Treves ist schwer betroffen vom Antlitz des
Elefantenmenschen. Gleichzeitig treibt dessen
mengenmäßig hoher, aromatisch intensiver Gas-
Ausstoß, dem Arzt die Tränen in die Augen.
Schon bald kann Treves die Auswüchse des Elefantenmenschen begutachten und verliebt sich sofort. Ihn begeistert nicht nur der alternative Charakter dessen Anatomie. Zusätzlich sieht er die Möglichkeit in seiner Mediziner-Clique beliebter zu werden und mehr friends zu erhalten. Folglich wünscht er sich nun selbst die Besitzrechte am Freak, aber Bytes hat keinen Bock auf den Business Plan. Erst als der Elefantenmensch anfängt zu husten, wird ihm die Taxifahrt zum Krankenhaus gewährt. Dort bekommt er ein eigenes (Gefängnis-)Zimmer und die volle Aufmerksamkeit des Doktors, sowie des Krankenhauspersonals. Seine Freundesanzahl steigt schneller als die von Mark Zuckerberg.  Während Treves medizinische Forschung betreibt, bemerkt er, dass das Monster noch weit mehr kann als sich lediglich zu drehen oder zu atmen. Mit der Zeit beginnt er zu sprechen und verrät sogar seinen Namen: John Merrick. Nachdem er über seine grausamen Lebensumstände und minimalen Hygienepraktiken erzählt hat, fängt er an intellektuell zu sein. In dem - ehemals für debil eingestuften - jungen Mann, steckt anscheinend ein vornehmer Gentleman, mit liebevoller Hingabe, außerordentlichem Feingefühl und einem Fable für einen Promi der damaligen Pronoindustrie, welche früher auch als Theater bekannt war.

Während die augenscheinlichen Gutmenschen versuchen, ihm ein angemessenes Leben zu ermöglichen, fällt auf, dass auch sie Teil der kritisch gesehenen Gesellschaft sind. Sie handeln auch selber nach dem Prinzip des Eigennutzens, dies zumindest unterbewusst. Dem menschlichen Elefant werden nur Verhaltensweisen oder Lebensumstände (so genannte Postings) gewährt, die zur Zielerreichung der jeweils autorisierten Person dienen. Als die Guten dies bemerken - vor allem durch Dr. Treves Reflexionen - nimmt aber das Schicksaal seinen Lauf und die freaky Freiheit nimmt zu, nimmt ab, nimmt zu... Am Ende des Filmes gibt es dann eine Entschädigung für die gut gemeinten, aber gegenteilig wirkenden Handlungen jener Retter und der Elefantenmensch kann sich glücklich zurücklehnen.

KULISSE

London im 19. Jahrhundert - damals, als es noch keine Farben gab - breitete sich die Industrie immer mehr in der Gesellschaft von Jägern und Sammlern aus. Man wusste noch nicht, dass produktionsbedingt Maschinenlärm, Dampf und Depression entsteht und später zu einer Industrial Techno Musikszene führen würde. So waren damals, im Unterschied zur Moderne und den uns heute bekannten Geschäfts/Industriegebieten, die Produktionsanlangen in der Stadt und ihren kleinen Gassen verstreut.
Die Menschen lehren ihren Nachtbecher in die Strassen und wippen simultan mit dem Fuss zu monotonen Geräuschen von aufeinander klatschendem Metall, sowie geöffneten Druckventilen. Mit hoher Wahrscheinlichkeit war die gesellschaftliche Stimmung genauso schön, wie die Atmosphäre auf der After Hour eines Hardcore Techno Events. Damit lässt sich vielleicht erklären, warum das breite Volk genau den selben Film schiebt und abgeneigt gegen alles ist, was nicht die gleiche Optik wie sie hat.

"Du kennst mich noch, nicht wahr? Bin jener, als es letzte Nacht geschah.
Du schliefest und ruhtest gar, als es grell blitzte und nackt war ich da."
  - Dr. Treves, der geheimnissvolle Quacksalber...

Freddie Francis (Kameramann) ist in der großen Zeit des Schwarzweiß-Films aufgewachsen und bildet das antike London absolut optimal ab. Der Zuschauer wird wahrlich in die dunkle Umgebung hineingesogen und hat keine Möglichkeit dieser zu entfliehen - die ganze Spieldauer konnte ich zum Beispiel nicht ein Mal Pinkeln gehen, ich kannte mich in dieser Stadt nicht aus.
Das Szenenbild ist so detailliert ausgearbeitet und stimmungsvoll in Szene gesetzt, dass der Film-Zeuge danach problemlos über London Anno 1880 referieren kann. Oder sich nach der Sichtung fragt, wie die Zeit (bis 2011) nur so schnell verfliegen konnte. Wer über keine Zeitreisemaschine verfügt, kann sich relativ kostengünstig eine DVD oder BluRay erstehen und auf diesem Weg, eine Rückversetzung in geistiges Niveau vor Einführung des Internets, gegenseitiger Toleranz und Technicolor, erleben. Insgesamt muss man sagen, wenn der Zuschauer nicht direkt auf die Farbgestaltung achtet, würde ihm vielleicht nicht auffallen, dass der Film lediglich weisse und schwarze Kolorierung nutzt. Da Farb-Facetten systematisch und konzeptionell eingesetzt werden, gewisse Objekte (z.B. graue Elefantenhaut, rotes Blut & Vorhänge) in buntem Glanz, da der Sichtling diese eindeutig koloriert in seinem Kopf abgespeichert hat.

Freddie Francis hat hier grandiose Arbeit geleistet, welche den Film überhaupt erst ermöglicht und auch farbenblinden Zuschauern verschiedenste Farb-Nuancen vorschwindeln kann.


LUKRATIVE HAUPTATTRAKTIONEN

Nachdem Lynch und Francis die Plätze der Aufmerksamkeit herbeigezaubert haben, fehlten noch geeignete Schauspieler, welche die antike Freakshow mit Leben füllen sollten. Im Grunde liefern alle Bezahlten, eine grandiose Leistung ab, dennoch will ich eine Hand voll besonders hervorheben:

1.) ANTHONY HOPKINS
Der Psychopath aus "Silence of the Lambs", musste sein medizinisches Fachwissen ja irgendwo her bekommen. David Lynch bot dem damals noch relativ unbekannten, aber recht imposant aufsteigenden Stern eine Möglichkeit sein Talent zu beweisen und erste anatomische Erkenntnisse zu gewinnen. Hopkins bringt die Gefühlsebene des wohlwollenden, intelligenten Arztes glaubhaft an den Zuschauer und zieht ihn in den Bann von gegensätzlicher Moral. Einerseits benötigte die Medizin, zur damaligen Zeit, noch viele empirische Untersuchungen mit n größer als zwei, andererseits wird der Untersuchte dadurch auch nur zum Objekt von Neugier. Den Wandel, bzw. das innere Erwachen wird so unglaublich gut an den Mann gebracht, dass in mir blanker Hass gegen die Academy aufkocht. Warum wurde Anthony nicht mit dem goldenen Männchen belohnt, warum? Die Academy scheint nur die Angesehenen im Social Web auf ihre Seite locken zu wollen. Wenn ich heute sehe, dass Avatar von James Cameron (dem Action-Barbar, welcher übrigens Alien 2 so kaputt gemacht hat, dass ich über einen neuen Totalzerriss nachdenke) komplett uninnovativ ist und drei Oscars abräumt, sträuben sich mir die Haare. Ok, fair sollte ich sein, Cameron hat natürlich schon eine Story im Film gehabt - nachdem Pocahontas an der Kinokasse Erfolge erzielen konnte, kopierte er das bewährte Konzept. Whatever, sicherlich, auch Lynch oder der Kameramann hätten den Oscar verdient, aber Hopkins ist der Baustein zwischen den Stühlen in diesem Film.


2.) JOHN HURT
John Hurt, der in Alien (1979) erste bedeutende Erfahrungen als Aussenseiter sammeln konnte, spielt auch in diesem Film den bedeutenden Gegenpart zur großen Masse. Während der Spieldauer, war ich am ernsthaften Überlegen, ob die äußere Erscheinung nur Maskerade ist oder Lynch tatsächlich die Leiche des Entarteten zum Leben erweckt hatte. Eine spezielle Szene zeigte mir dann doch noch die Gummi-Masse Herkunft (SPOILER: Der unfreiwillige Besuch im Krankenhaus drückt ihm auf die Lippe, die unnatürlich nachgibt) und ließ mich in Staunen zurück, wie sehr Hurt mit dieser Rolle verschmolzen ist. Den Schmerz den der "Freak" verspürt, kann der Zuschauer nicht nur sehen oder nachempfinden, er schmeckt sogar das Salz der fliessenden Tränen. Eine Performance die in der ersten Hälfte durch gezieltes Understatement überzeugt, in der zweiten Hälfte durch Mitleid.


3.) JOHN GIELGUD / 4.) ANNE BANCROFT
Die beiden Schauspieler zählten schon zu Zeiten der Dreharbeiten zu den eingestandenen und bedeutenden Leinwandgrößen. Entsprechend ihrer historischen Position, übernehmen sie auch in diesem Werk die Dreh- und Angelpunkte der Geschichte. Gielgud spielt den autoritären Krankenhausleiter, dessen Gesichtsausdruck die Entscheidungsgewalt symbolisiert. Der unerschütterliche Blick, der fest an seinen Idealen hält und die ersten Filmhälfte begleitet, wandert in der zweiten Hälfte zwar nicht ab, ändert sich aber hinsichtlich des Ausdrucks der Augen - sie werden zugänglicher und weicher, zeigen eine Charakterentwicklung auf Basis des gesehenen Halbelefanten.
Parallel zur Entwicklung des Krankenhausleiters, verändern sich auch die Ansichten der Mutter aller Krankenschwestern - (Anne Bancroft bzw.) Mrs Krendal. Anfangs noch geschockt, entsetzt und sogar abgeneigt gegen die Gewährung von Krankenhausbehandlungen für den heimlichen Patienten, wird sie im Laufe der Geschichte eine liebevolle und sich kümmernde Leiterin des Krankenpflegedienstes. Ihre Meinung ist ausschlaggebend für das Verhalten, der zahlreichen Pflegekräfte. Nach anfänglichem Geschrei, entsteht Verständnis für den Außergewöhnlichen, am Ende wird aus Mitleid sogar Liebe bzw. Trauer.
Insgesamt repräsentieren diese beiden wichtigen Schauspieler, bedeutende Hierarchie-Positionen im Krankenhaus. Genauso wie das Krankenhauspersonal, durchgeht auch der Zuschauer eine Wandlung - von anfänglicher Skepsis bis hin zu letztlich Verständnis, Mitempfinden und Trauer.

5.) DEXTER FLETCHER




"Nein Otto, lass uns gehen.
Die wollen uns nicht."

- außergewöhnliche Liebe
in Zeiten der

viktorianischen Strenge.
Der kleine Knirps, der Mr Bytes begleitet, steht zwar stets im Hintergrund, allerdings bedeutet sein Auftauchen eine Story-Wendung oder Verfestigung von bedrohlichen Situationen, Meinungen oder Entwicklungen.
Die Schauspielerische Darbietung ist, für das junge Alter, recht ansehnlich. Allerdings steht hier nicht die Leistung im Vordergrund, sondern die potentiell-pädophile Energie, welche die Stimmung zwischen Freak-Show Leiter und Gehilfen zum knistern bringt.
Die Beziehung zu Mr Bytes, hatte starke Auswirkungen auf die Karriere des Jungschauspielers. Hatte er die Lynch-Prüfung noch mit Bravour bestanden, so bedeuteten die daraus resultierenden psychischen Schäden, wesentlich mehr für seine folgende Karriere. In seiner Kindheit geschädigt, boten sich ihm keine Möglichkeiten mehr, Selbstbewusst aufzutreten und große Projekte anzugehen. So siecht Dexter Fletcher dahin und selten erreichen die Filme und Serien, denen er seinen Körper anbietet, gute Bewertungen.
In etwa entspricht dies den Erwartungen von Facebook oder Social Network User, wenn sie die Statusmeldungen ihrer Freunde, auf ergatterte Bekanntschaften  analysieren.
DIAGNOSE

David Lynch's Megafilm zeugt von grandioser Handwerkskunst und ist diesmal nicht so sehr verspult. Der Film ist ein feines Bouquet erlesener Prisen aus Sherlock Holmes, Caspar Hauser und ein bisschen Glöckner von Notre Dam. Detektivarbeit führt zum Objekt, Objekt führt zu Informationen und Informationen zu Verankerung, der Ablehnung Fremder in jeglicher Gesellschaft (und Zeit!).
"Wow, das werden meine Freunde sicher liken."
Alt-Herrenkreise und die Wurzel des Web 2.0.
Die Geschichte um einen entstellten Menschen, dessen Arzt und vieler unangenehmer Zeitzeugen, versetzt den modernen Filmzeugen, in einen Zustand von Mitleid, Furcht und Hoffnung. Sogar Parallelen zur modernen Internet-Generation werden aufgezeigt.
Die Geschichte wird unheimlich gut erzählt, weist extrem bewegende Momente, sowie einnehmende Bilder auf und ist die Reinform einer absoluten Empfehlung für Jedermann.
"...Gassi wir gehen...du Herrchen mir versprochen hast...und nun nur wieder schleppen mich auf convention damit du zeigen mich deinen Nerds... mit denen befreundet du bist..." 

Ein Wort des Patienten: THE ELEPHANT MAN (mp3)

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