OPER OHNE SEIFE
DIE SCHMUTZIGEN FREUDEN
DES ALTEN ITALIEN
Der Autor versichert, dass er in
keiner Weise Leute verärgern möchte, oder zu einem Ständer
ermutigen.
SHHHH Silenzio! In der
Oper muss Ruhe herrschen. Niemand möchte gestört werden, wenn er
mal schläft. Argento sieht das ein bisschen anders. Jeder Schrei ist ihm willkommen. Mit OPERA hat der Meister sein größtes Fest verbrochen, voll dramatischer Sexgeheimnisse und morbider Sinnlichkeit. Pandämonium pur!
Achtung! Spoilernde Sorgfalt |
ANALYSE:
Backstage werden große
Vorbereitungen getroffen. Der rote Vorhang geht auf und Raben
flattern auf die Schuttbühne, die Teilen Frankfurts sehr ähnlich
sieht. Ein großes Michael Jackson Hologramm aus der Thriller-Ära
erscheint auf der Leinwand, während die Sängerin energisch trällert. Die Handlung der Oper wird
undurchsichtig und große Freude kommt auf, als dem ersten
Bühnenbeschäftigten mit Schwung das Genick gebrochen wird.
DOCH ZU FRÜH GEFREUT:
Führt euch vor Augen,
dass ihrs mit einem Perversen zu tun habt. Jemand, der das
schlüpfrige Parlando aufgibt und stattdessen mit Fistelstimme und
Fetischmaske flirtet. Ein Liebebedürftiger der besonderen Art, mit
dem geballten Mitgefühl der Eiger-Nordwand. Er sieht sich selbst als
der größte Fummelkönig, aber der Sprung vom Killer zum Ladykiller
will ihm nicht gelingen.
Die Sängerin im
Flitterfummel war Betty. Diese Stimme. Uh, da könnte ich heulen. Ein
ganz feiner, vornehmer, italienischer Akzent. Opernsingen ist das
Einzige für sie. Es gibt ihr das Gefühl die Welt zu verbessern.
Kein Zweifel, sie hat noch nicht eine schiefe Kerbe im Bettpfosten.
Und schon plauzen die ersten Missverständnisse aneinander, zwischen
der glockenklaren Unschuld und dem hoffnungslosen Verehrer, denn
seine stürmischen Methoden könnten nicht gegensätzlicher sein.
Von der Oper angeödet
fängt er an wie aufgepeitscht durch die Gänge zu fegen und zu
kriechen, Dinge, die in einem Opernhaus eigentlich erwünscht sind,
würde er nicht mit abgewichsten Mordgedanken vom Balkon
runterstöhnen. Was auch zunächst geduldet wird, aber die wahren
Liebhaber des gesungenen Theaters nicht gerne sehen.
Der Verehrer lässt dem Opernstar Urin in einem edlen Fläschchen zukommen, um ihr Herz zu gewinnen, was bei Betty die Idee bestärkt es mit einem Vollidioten zu tun zu haben. Sichtlich unbeeindruckt schüttet sie mit Stefano die ordinäre Tunke in den Abfluss.
Der Verehrer lässt dem Opernstar Urin in einem edlen Fläschchen zukommen, um ihr Herz zu gewinnen, was bei Betty die Idee bestärkt es mit einem Vollidioten zu tun zu haben. Sichtlich unbeeindruckt schüttet sie mit Stefano die ordinäre Tunke in den Abfluss.
Klarer Fall, sie ignoriert
ihn. Doch woran liegts? Er ist charmant, gutaussehend, hat 1A-Leberwerte und eine tolle Altersvorsorge. Es sind lediglich seine
sexuellen Vorlieben, über die sich streiten lässt. Aber so ist es
eben mit einigen Sexpraktiken: man selbst bekommt beim bloßen
Gedanken daran das Kotzen, für andere ist es wiederum "romantisch". Dennoch lässt er keine Gelegenheit aus, seinen Fetisch prominent zu machen.
Wir leben im 21. Jahrhundert. Schizophren kann jetzt jeder sein. Aber damals musste man für ein Doppelleben noch was riskieren!
Aus diesem Grund lässt der anonyme Sünder seiner Obsession höchste Sorgfalt
angedeihen und beweist, wie wichtig ihm die Beziehung zu Betty ist.
In aller Liebe, Treue und Ehrlichkeit. Er bricht bei den
Kostümbildnern ein, zerfetzt Bettys urfesches Operngeschmeide und
luchst sich ihren Slip ab, um ihn als Einlage in seine Maske zu
nähen. Das sollte das Eis brechen.
Eroberungslustig:
Der Jagdinstinkt des Aufreißers ist geweckt.
Neckisch wirft er Betty scharfe Blicke zu.
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In der Nacht setzt dann
Betty ihre Unzulänglichkeit zu. Beim ersten Fickdate mit dem
sympathisierenden Stefano kommt es zu einer Riesenblamage.
Sexunfall! Einer der peinlichsten. Mitten im Akt wird ihr Freund vom Killer erstochen, der sich einer ausgebufften Folterwaffe befleißigt. Ein Nadelpflaster,
das sich die Augen offen wünscht.
Hier bekommt der schaulustige Zuschauer vom Regisseur den Spiegel vorgehalten und wird selbst als Sadist entlarvt. Wie der Killer lässt Argento den Zuschauer sehen, was Betty sehen muss. Ein kleiner, hinterlistiger Kniff, der das Zusehen unerträglich macht, weil es einfach schmerzt mitzuerleben, wie der einsame Lover seine unzähligen Gewinnchancen bei ihr immer wieder verkackt.
Hier bekommt der schaulustige Zuschauer vom Regisseur den Spiegel vorgehalten und wird selbst als Sadist entlarvt. Wie der Killer lässt Argento den Zuschauer sehen, was Betty sehen muss. Ein kleiner, hinterlistiger Kniff, der das Zusehen unerträglich macht, weil es einfach schmerzt mitzuerleben, wie der einsame Lover seine unzähligen Gewinnchancen bei ihr immer wieder verkackt.
WAS FOLGT IST KINOGESCHICHTE:
In
einem der schönsten und ergreifendsten Momente aller Filme überhaupt
wird Giulia ein Bügeleisen ins Kreuz geworfen
Es
ist schon wieder Vollmond und im ganzen Viertel nichts los. Nur nebenan. Da steigt die
Alternativparty "Yıldırım". Kein Wunder, dass der Lauser notgeil
durch die Oper flaniert.
Brüste: Zwei handliche Tropfen. Er will ihr sofort die
Beichte abnehmen, wenn sie unter ihrer weißen Decke Ebbe und Sturmflut macht. Gefährlich nah streicht er sich am geheimen
Spiel entlang, während die
empfindlichen Spitzen freigelegt werden. Über sinnliche Bildmassagen wird sich das
Bewusstsein des Grabschers erschlossen, ohne seine mösenfeindliche Identität zu lüften.
Man macht sich strenge, abendländischen
Gedanken. Unter Umständen ist er ja eine Frau.
Die Welt ist voller
Möglichkeiten. Aber wer sind diese tollwütigen Fucker, die den
ganzen Tag im Fango rumgammeln und ans Fesseln denken? Klar, man
kennt das ja aus furzigen Kellerpartys. Es ist laut, es ist nass, man
wird angefasst, oder geschwängert; aber in der Oper gab's das nie.
Dabei ist diese eigene Atmosphäre, in der maskieren und inszenieren
zum Programm gehören ideal für extreme, psychosexuelle
Rollenspielchen und festgefahrene Erniedrigungsphantasien.
Metamongo: Synchron vergewaltigt der Autor gerade unter Missbrauch der Leser seinen verehrten Film für ein narzisstisches Liebesgeständnis |
DARIO ARGENTO: EIN MANN MIT KLANG
Der Ideengang für das
Setting war Dario Argentos eigener Versuch eine Oper zu inszenieren,
welche allerdings als zu bohemisch und riskant abgewürgt wurde, da
Argento gleich mehrere Radios auf einmal dirigieren wollte. Noch
uninteressanter ist folgende Meldung:
Argentos rauschende Zirbeldrüsentranszendez wird gern als
lächerlich und schwachsinnig betrachtet. Vor allem von Männern,
die Säulendiagramme erstellen und im Kino am liebsten die Tagesschau
scheppern lassen. Wir von der Pathologie sind mit dem Krankheitsbild der Langweiler vertraut und können beruhigen. Es ist eine harmlose Erkrankung, die schnell auskuriert ist, sobald man auf dem Volksfest Glatzen streichelt, sich Sand in die Unterhose kippt, oder blindtriebs mit Steinen um sich schmeißt. Viele dieser weniger aufwändigen Behandlungsmethoden werden jedoch nicht praktiziert, da sie eine Reihe verheerender Nebenwirkungen mit sich ziehen.
Was heute mit Argento ist?
Leider nicht mehr so viel Wildes. Die Zeiten, in denen man seinen
Namen an jede Straßenwand sprayte und sich selbst stolz zur
Anzeige brachte, sind vorbei.
Fabrikfrischer Schrott Viele bemängeln Darios unterfinanzierte Billo-Phase, in der er einem sehr intimen Klientel Avancen macht. Ein paar frustrierte Leidensgenossen selben Alters können ihm folgen, aber seine Regenbogenphantasien aus der Krypta lassen zunehmend nach. Ihn so zu sehen hat natürlich seinen Reiz. Die meiste Zeit schmerzt es aber einfach in der Seele. |
OPERA: KLEINE TIEFS, VIELE HOCHS. ABER IMMERHIN TIEFS!
Ohne zu zögern schießt
Argento seine Schrotladungen los. Der Mann meint es ernst. Es macht
unfassbar glücklich zuzusehen, wie er sich in ausgefuchsten
Inszenierungsfuror tobt und die Messlatte bis zum Ende schwanzhart
aufrecht hält. Auch die Special Effects wirken heute immer noch
taufrisch.
Diese Statue ist eine ungezähmte Widmung an den brutal-vitalen Argento, als er noch umwerfend und aufregend war. Skulptur "Il Grande Argento" von Marino Maroni |
Ohne Flachs, es gibt so
viele Highlights, die sich in das gemarterte Hirn narben wie ein
Löwenprankenhieb. Ganz grundsätzlich kann man den Film eigentlich
jedem empfehlen, der sich gern mal ordentlich abwatschen lässt. Und
doch ist der Terror auf maximale Liebe ausgelegt, da lässt die
bestechend zugängliche Heulmuse Betty keine Zweifel bestehen. Auch viele Bildgestalter können sich bei der treibenden Kamera ins Knie ficken gehen, aber erst die irrationalen Regiefaxen rütteln einem tänzerisch die Hirse
aus den Schuhen. Davon will man mehr. Neben den satten Sounds von Brian Eno und
Claudio Simonetti ist der einzige Malus wahrscheinlich das recht
holprige Metal-Gepolter, welches an mancher Stelle auf die übliche
Zitterfrequenz runter bringt. Und die beachtliche Darstellerperformance verwechselt man flüchtig mit mieser
Schauspielleistung, was zwar nicht ganz falsch ist, aber zum größten
Teil an der schallernden Synchronisation liegen mag. Allerdings vergisst man das gern. Argento
beseelt das Groteske und lässt die Wunder in seinem gewaltsamen
Opernmärchen frei, was teilweise so intensiv daherkommt, dass es einfach
nur heißer Scheiß sein kann. Er lässt sogar Raben wie ehrbare Soulsänger erscheinen. Das knallt, ist sexy und voll
unschuldiger, purer Energie. Wenn das nicht genug ist, um sich zu
wünschen man wär mit TERROR AT THE OPERA verheiratet, dann
geb ich auf.
Der Psychopath fordert
die Natur heraus - eine aufregende Begegnung, besonders, wenn die Käfige
offen stehen. Hier im Swingerclub sollen lebenslustige Mörder
zusammenfinden. Als besonderer Anreiz dient das rachsüchtige Raven.
DIAGNOSE:
Nach dem Ausflug ins Mittelgebirge stellt der Film plötzlich die eigene
Wirklichkeit als künstlich aus. Wobei Argento seinen Bezug dazu
immer wieder klärt. Zum Beispiel soll eine Arie abgebrochen werden,
um dem Killer die Larve vom Gesicht zu reißen. Ein guter Tausch. Ist
ja nur Kunst.
OPERA ist nicht weniger
als die krönende Mimese unserer Faszination am Bizarren,
die sich Argentos gesamtes Lebenswerk voll naiver Wahrheitsliebe erspielt. Eine Freude, die zwar mit INFERNO und SUSPIRIA schon zauberischer war,
aber überzeugender nicht mehr wird. Und das ist kein Scherz. Ich
mach später noch einen Scherz, dann erkennt ihr den Unterschied.
In der Schweiz gehen Betty
endgültig die Gefühle durch und ihr wird gewahr wie bittersüß das
Leben ist, wenn sie mit autistischem Tatendrang die Botanik begehrt. Noch kein Berg hat der Liebe den Rücken zugekehrt, denn er kennt weder Mann noch Frau. Insofern ist es kein Zufall, dass die Glücksgefühle innerlich am überdrehen sind, wie eine Platte, die nicht auf 33 sondern auf 45 laufen darf. Das Verdorbene verrottet, mit dem Resultat, dass in den Alpen die Sonne scheint. Ach, ist das schön! Schön und schockierend. Denn mit der guten Laune kehrt auch die Realitätsflucht ein. Man spielt das Spiel eben nach den grausamen Regeln, oder gar nicht.
Und jetzt kommts! Intimität macht verwundbar, deshalb dürfen die Anderen
das nicht hören. Die Oper ist aus, die
Kunst verkauft. Zeit für süßen Unfug. Es wird still und man ist gespannt und voller Hingabe gesteht sie alles: Penis ist nicht was sie braucht. Da möchte man sie
natürlich nur noch in den Arm nehmen. Betty ist eine echte Trümmerfrau!
Der Staubsaugersack wird voll und alles endet auf Liebe.
1 Hasst uns! Beschimpft uns! Lasst es raus!:
Am Rande: Argento durfte ich im Sommer persönlich treffen und mir ebenso "Opera" im Rahmen einer Argento-Retroperspektive auf der großen Leinwand anschauen. Anders als erwartet, ist Argento ein ganz pflegeleichter Mensch, der in echt ganz anders wirkt, als man es vermutlich aus all den distanzierten TV-Interviews erwartet hätte. Ein ganz symphatischer und liebenswerter alter Mann, den man einfach nur pausenlos in den Arm nehmen möchte.
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